Roman, übersetzt und mit Nachwort versehen von Ondřej Cikán, mit einem Frontispiz von Josefine Schlepitzka.
Josef Kocourek (1909-1933) ist eine unglaubliche Entdeckung. Trotz seines sehr kurzen Lebens in bitterarmen Verhältnissen an der tschechoslowakischen Peripherie im nördlichen Sudetenland hinterließ er ein umfangreiches Werk, das großteils erst in den 1960er-Jahren, in weiten Teilen überhaupt erst nach 2020 aufgearbeitet und ediert worden ist.
Den Roman "Frau" schrieb Kocourek seinen Tagebüchern und Zeitzeugen zufolge in jeweils nur ca. fünf Tagen dreimal - mit 17, 18 und 20 Jahren -, wobei er die älteren Versionen immer verbrannte. Der Roman handelt von Anna Zavřelová, die aus ihrer erzwungenen Ehe flieht, sich mit verschiedenen Verbrechern einlässt, wüste Abenteuer erlebt, schließlich scheitert und zugleich auf tragische Weise triumphiert. Extreme Leidenschaft wird mit der Gewalt einer Dampflokomotive illustriert, äußerste, fast mittelalterliche Armut trifft auf gehobenes Bürgertum. Die Perspektiven wechseln ständig, sodass man sich kaum sicher sein kann, ob das Erzählte wahr ist.
Deutschsprachige Leserinnen und Leser werden da und dort Vergleiche zu Hauptmanns "Bahnwärter Thiel" oder zu Hesses "Steppenwolf" ziehen, aber bei Kocourek ist die strahlende Heldin eine Frau - die Frau schlechthin -, was die sympathisch obsessive Verehrung alles Weiblichen in der tschechischen Literatur der Zwischenkriegszeit auf die Spitze treibt. Und Kocoureks traumartiger Stil ist so erdverbunden, romantisch, bilderreich, dass es so wirkt, als hätte der Romantiker Karel Hynek Mácha hochselbst eine Gesellschaftsstudie geschrieben.
Josef Kocourek: "Frau". Wien (Kētos) 2025.
ISBN: 978-3-903124-35-6
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