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25 Apr
Tod an der Grenze: Prozess gegen Ex-Innenminister

Das Bezirksgericht Prag 1 hat am 25. April in Abwesenheit des ehemaligen tschechoslowakischen Innenministers Vratislav Vajnar die Hauptverhandlung im Fall der Ermordung von Zivilisten am Eisernen Vorhang in den Jahren 1983-1988 eröffnet. Der 92-jährige Angeklagte hatte sich aus gesundheitlichen Gründen entschuldigt. Nach der Verlesung der Anklageschrift, der Zeugenaussagen und der Prüfung der Beweismittel beantragte das Gericht ein drittes medizinisches Gutachten über den Angeklagten auf der Grundlage der Argumentation der Verteidigung. Die Verhandlung wurde auf den 15. August 2023 vertagt.

Bild: 123site/Anton Dmitriev/Unsplash

Das Zustandekommen des Prozesses ist ein großer Erfolg für die Plattform der Europäischen Erinnerung und des Gewissens, die im Rahmen des Projekts Justiz 2.0 einen juristischen Weg gefunden hat, um die Mauer der Straflosigkeit für Täter schwerer Verbrechen des Totalitarismus zu durchbrechen. Im Jahr 2016 erstattete sie in Deutschland Strafanzeige im Fall von fünf Deutschen, die an der tschechoslowakischen Grenze ermordet worden waren, und nannte die gesamte Kette der Verantwortlichen, angefangen bei führenden kommunistischen Partei- und Staatsfunktionären. 

Ein Jahr später, 2017, wurde eine ähnliche, erweiterte Strafanzeige bei der Obersten Staatsanwaltschaft in Brünn eingereicht. Daraufhin wurde ein gemeinsames tschechisch-deutsches Ermittlerteam gebildet. Als Ergebnis der mehrjährigen Bemühungen wird nun die Hauptverhandlung gegen den Ersttäter, Ex-Minister Vajnar, eröffnet, der für den Tod von František Faktor (+1984), Hartmut Tautz (+1986), Johann Dick (+1986) und die Verletzungen von Jürgen Seifert (1983), Wolfgang Günter Hofmann (1986) und Uwe Lenzendorf (1988) verantwortlich gemacht wird.

Richterin Kateřina Rybáková gab dem Antrag der Verteidigung statt und vertagte die Verhandlung auf den 15. August, an dem ein weiteres, drittes medizinisches Gutachten über den Zustand des Angeklagten vorgelegt werden soll. Staatsanwältin Katarína Kandová schlug eine zweijährige Bewährungsstrafe mit einer dreijährigen Bewährungsfrist und eine Geldstrafe von 100.000 CZK (EUR 4.250) vor. "Je nach Verlauf und Ergebnis der Beweisaufnahme wird die Länge dieser Strafen festgelegt werden", erklärte sie gegenüber Journalisten.

Auf der anschließenden Pressekonferenz der Plattform erklärte Dr. Lubomír Müller, der Anwalt der Opfer, den Journalisten, dass dies der erste Fall dieser Art sei, der vor Gericht verhandelt werde. "Der Angeklagte hat ausgesagt, dass er Švejk mag, ihn gut kennt, ihn oft gelesen hat. Es stellt sich die Frage, ob Švejks Lebenseinstellung eine Inspiration für seine Verteidigung in diesem Verfahren ist", sagte Dr. Müller und fügte hinzu: "Die Tatsache, dass der Fall überhaupt vor Gericht verhandelt wird, ist eine moralische Genugtuung für die Opfer."

"Ein konsequenter nächster Schritt wäre es, weitere Personen, die Teil des Staatsapparates waren, strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Ähnlich wie in Deutschland bei den so genannten Mauerschützenprozessen", fand Strafrechtsexperte Konrad Menz von der Berliner Kanzlei Derra, Meyer & Partner.

"Wir warten seit fast sieben Jahren auf den Ausgang unserer Strafanzeige. Die Strategie der Täter ist klar: Sie suchen nach Ausreden. Es ist traurig, dass es der tschechischen Justiz trotz der Tatsache, dass es sich um schwere Verbrechen handelt, immer noch an Nachdruck und Schärfe fehlt und dass sie den Angeklagten immer mehr Zeit verschafft", meinte Dr. Neela Winkelmann-Heyrovská, Gründerin und langjährige Direktorin der Plattform.


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