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28 Aug
In Tschechien hat sich ein paralleles Bankensystem ohne Banken entwickelt

Keine gute Nachrichten für den eher verwöhnten Bankensektor in Tschechien. Tschechische Unternehmen haben bessere und einfachere Quellen der Geldbeschaffung entdeckt. Eigentlich ist es so simpel, dass es schon wieder genial ist. Sie leihen sich einfach Geld von "Mama", sprich von den Mutterkonzernen, die meist im Ausland ansässig sind. Die Leihsummen tschechischer Unternehmen ohne Banken haben mittlerweile stattliche 1,4 Billionen Kronen (57 Mrd. €) erreicht.

Symbolfoto: GettyImages

Es ist ein tschechisches Phänomen und entzieht den einheimischen Banken einen erheblichen Teil ihres Kreditgeschäfts. Laut Angaben der Nationalbank (ČNB) hat das Volumen konzerninterner Kredite einen historischen Rekordwert von 1,43 Billionen CZK (58,3 Mrd. €) erreicht. Innerhalb der letzten 10 Jahre hat sich die Summe verdoppelt. Dass es sich dabei nicht um Peanuts handelt, zeigt der Vergleich mit den Banken selbst, die bis Juni 2025 insgesamt 1,48 Billionen CZK (60,3 Mrd. €) an inländische Unternehmen verliehen haben. Die "Mama-Kredite" haben somit fast das Niveau der traditionellen Bankfinanzierung von Unternehmen erreicht.

Die Auflagen der Banken treiben die Unternehmen in die Arme der Muttergesellschaften

Die Vorteile eines konzerninternen Kredit liegen auf der Hand. Zum einen werden knapp die Hälfte der tschechischen Unternehmen vom Ausland aus kontrolliert, was beispielsweise  Kredite in Euro zulässt, und man somit das Kursrisiko ausschließen kann. Zum anderen sind die Konditionen meist günstiger und der administrative Aufwand weitaus geringer, und es bedarf meist keiner Sicherheiten. Dazu kommt (wie bei Mama auch), dass man im Falle von Zahlungsverzug keine Fälligstellung der Summe oder Auflösung von Sicherheiten befürchten muss.

"Bei Bedarf nutzen wir in erster Linie Finanzierungen unserer Muttergesellschaft. Dieser Ansatz ermöglicht uns gute Konditionen, Flexibilität, schnelle Genehmigungen und eine bessere Abstimmung der Finanzierungen auf die strategischen Ziele unserer Gruppe. Eine Bankfinanzierung ziehen wir nur in Ausnahmefällen, und immer in Abhängigkeit von der Art und dem Umfang der jeweiligen Investition in Betracht", erklärte Markéta Kopecká, Finanzdirektorin von Saint-Gobain für Osteuropa, gegenüber dem Wirtschaftsportal SZ Byznys. Saint-Gobain ist ein französisches Unternehmen mit mehr als einem Dutzend Werken in Tschechien, produziert werden hauptsächlich Baumaterialien wie Dämmstoffe oder Glas für die Automobilindustrie.

Die Zunahme der konzerninternen Kredite könnte auch mit der Wirtschaftslage in Deutschland zusammenhängen

Ähnlich sieht es beispielsweise der deutsche Hersteller Miele, der große Produktionsstätten in Uničov (Mährisch Neustadt) betreibt. "Unser Unternehmen nimmt weder von Banken, noch von mit ihnen verbundenen Unternehmen Kredite auf. Wenn wir jedoch eine Finanzierung benötigen, würden wir uns für eine konzerninterne Finanzierung entscheiden. Den Hauptvorteil eines konzerninternen Kredits sehe ich in der größeren Freiheit einer solchen Beziehung, da man sich mit einem verbundenen Unternehmen leichter auf eine Änderung der Parameter einigen kann, als mit einer Bank", sagte Zdeněk Utěšený, Finanzdirektor von Miele technika.

Hinter dem Wachstum der konzerninternen Kredite könnten auch die Probleme der deutschen Wirtschaft stehen. Die Deutschen gehören zu den größten ausländischen Investoren in Tschechien. "Die Investitionen in Westeuropa stagnieren seit einigen Jahren aus verschiedenen Gründen, sodass einige Unternehmen über beträchtliche Mittel verfügen. Aus verschiedenen Gründen, wie beispielsweise den Lohnkosten und der Situation auf dem Arbeitsmarkt, sehen sie eine bessere Zukunft für ihre Betriebe im östlichen Teil Europas und investieren dort", sagt ING-Chefökonom David Havrlant.


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