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06 Nov
Ein Bruderzwist im Hause Okamura

In der Debatte rund um die Wahl des neuen Parlamentspräsidenten der Tschechischen Republik kam es zu einem Bruderduell, das durchaus Stoff für ein klassisches Drama hergeben könnte. Der christdemokratische Abgeordnete Hayato Okamura (KDU-ČSL) warnte das Plenum eindringlich vor der Wahl seines sechs Jahre jüngeren Bruders und Parteichefs der rechten SPD, Tomio Okamura, zum Präsidenten des Abgeordnetenhauses. Tomio sei eine "ernsthafte Sicherheitsbedrohung" für das Land und habe "keine feste moralische Grundlage". In seiner langen Brandrede beschrieb Hayato den Weg Tomios von der Kindheit ins Erwachsenenalter, der "geprägt war von tiefen inneren Verletzungen", welche ausschlaggebend für dessen politische Anschauungen wurden. Hayato Okamuras Appellen zum Trotz wurde der SPD-Chef mit der Mehrheit der kommenden Regierungskoalition zum Präsidenten gewählt.

Tomio und Hayato Okamura

Bilder: SPD, KDU-ČSL

Ein Mensch, der in seiner Kindheit und Jugend aufgrund seines fremdartigen Aussehens selbst unter Vorurteilen und Ablehnung schwer gelitten hat, baut nun seine politische Macht auf eben diesen Instrumenten auf. "Tomio hat Wunden in sich, die nie verheilt sind", sagte sein älterer Bruder.

Obwohl er zum drittmächtigsten Politiker der Republik aufgestiegen ist, muss diese Red für Tomio Okamura gewiss ein schwerer Moment gewesen sein, neben der endlosen Kritik seiner politischen Gegner auch noch die vernichtende Bewertung seines eigenen Bruders zu hören. "In einem antiken Drama könnte (Tomio, Anm.) Okamuras Situation dadurch dargestellt werden, dass der neu gewählte Parlamentspräsident auf den Knien zu seinem hohen Stuhl kriecht. Dies hat tatsächlich die Züge einer antiken Tragödie. Unser Pech ist, dass wir sie gemeinsam mit ihm teilen", kommentierte der politische Journalist Marek Wollner auf dem Nachrichtenportal Forum 24.

Gleiches Schicksal, unterschiedliche Aufarbeitung

Die Eltern der Brüder sind der japanisch-südkoreanische Doppelstaatsbürger Matsuo Okamura und die tschechische Mutter Helena Okamurová. Nur wenige Monate, nachdem Hayato in Prag zur Welt gekommen ist, zog die Familie 1966 nach Tokio. Sechs Jahre später wurde dort Tomio geboren, ein Jahr später der jüngste Sohn Osamu, der später Architekt und Universitätsdekan wird. Helena Okamurová fand sich jedoch in Japan nicht gut zurecht und beschloss, mit den Kindern in die ČSSR zurückzukehren.

Im nordböhmischen Dorf Mašťov (Maschau) litt Tomio unter dem Mobbing seiner Umgebung, das offenbar so stark war, dass er laut Biographie bis zum 22. Lebensjahr stotterte. Nach der Wende verließ er das Land und ging wieder nach Japan. Er konnte sich dort mit schlecht bezahlten Jobs - vom Müllmann bis zum Kino-Verkäufer - über Wasser halten, erfuhr aber als "halber Ausländer" auch dort gesellschaftliche Ablehnung. Tomio beschloss seine Rückkehr in die Tschechische Republik, wo er letztendlich als Unternehmer Fuß fasste. Als Quereinsteiger ging Tomio Okamura in die Politik und errang mit Populismus und rechter Ideologie seine ersten Erfolge. Er wurde Senator, gründete zuerst die Bewegung Úsvit (Morgenröte), und nach einem Zerwürfnis mit Mitstreitern die Partei SPD. Diese politische Bewegung wird unter seiner Führung immer radikaler. 2024 beantragte das Gericht Okamuras Auslieferung aus der parlamentarischen Immunität, nachdem er auf Wahlplakaten die Herkunft von Menschen und das Begehen von Straftaten gleichgesetzt hatte. Die SPD setzt sich für den Austritt Tschechiens aus EU und NATO ein. Mit der Wahl zum Parlamentspräsidenten am 5. November 2025 krönte Tomio Okamura seine politische Karriere.

Hayato wandte sich nach der Rückkehr aus Tokio der katholischen Kirche zu. Er studierte Theologie an der Karlsuniversität Prag und arbeitete lange Zeit als Dolmetscher für Japanisch und Tschechisch, sowie als Reiseleiter. Seine Frau Ludmila ist Österreicherin mit ukrainischen und russischen Wurzeln. Die fünf Kinder aus dieser Ehe wuchsen zweisprachig - Tschechisch und Deutsch - auf. Sich selbst beschreibt Hayato Okamura als "sozialen Menschen", gerade, weil er "aus bescheidenen Verhältnissen" stammt. Als sein Vorbild bezeichnet er den verstorbenen Papst Franziskus.

Hayato Okamura sieht in seiner weit verwurzelten Familie die Grundlage für eine weltoffene politische Einstellung. Er beschreibt sich als "überzeugten Europäer" und verteidigt die Mitgliedschaft der Tschechischen Republik in der NATO. 2015, am Höhepunkt der Flüchtlingskrise trat er der Christdemokratischen Partei (KDU-ČSL) bei und engagierte sich für verfolgte Christen aus dem Irak. Seit 2021 hat Hayato Okamura über das Wahlbündnis Spolu einen Sitz als Abgeordneter im Parlament.


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