Es ist noch nicht allzu lange her, da war die tschechische sozialdemokratische Partei (damals ČSSD, heute SocDem) die stärkste politische Kraft im Lande und stellte eine Reihe von Premierministern. Zuletzt war die Mitte-Links-Kraft Juniorpartner in der Regierung von Andrej Babiš (ANO) und scheiterte bei den vergangenen Wahlen an der 5%-Hürde. Parteichefin und Ex-Sozialministerin Jana Maláčová bemüht sich seit Wochen um eine Aufnahme der SocDem in das Protestbündnis Stačilo! (dt. "Es reicht!"), das vor allem von den Kommunisten (KSČM) dominiert wird. Dieses Ansinnen könnte für Maláčová in einem Debakel enden: Einerseits hat Stačilo! nur wenig Interesse an einer Partnerschaft mit der "Altpartei", andererseits führte die Annäherung an die Kommunisten bereits zu einer Austrittswelle prominenter Parteimitglieder, vor allem jener, die in der früheren Dissidentenszene der ČSSR verwurzelt sind.
SocDem-Chefin Jana Maláčová
Bild: Facebook/Jana Maláčová
Jana Maláčová schlug im Herbst 2024 vor ihrer Wahl zur Soc-Dem-Vorsitzenden vor, für die nächsten Parlamentswahlen ein breites Linksbündnis unter Einbeziehung von Kommunisten und Gewerkschaften zu bilden, das der "Neuen Volksfront" ähneln sollte - der Gruppierung, die bei den vorgezogenen Parlamentswahlen 2024 in Frankreich triumphierte.
Vergangenen Winter begannen die ersten Verhandlungen zwischen SocDem und Stačilo!, die aber ergebnislos zu Ende gingen. Im Juni beschloss der Parteivorstand der SocDem, erneut mit Stačilo! in Kontakt zu treten, um eine gemeinsame Liste zu formen. Auf dieser Liste sollte der erste Platz im Wahlkreis Prag für die SocDem-Chefin reserviert sein.
"Die Verhandlungen beginnen nicht bei Null, sondern da, wo sie aufgehört haben. Wir haben ein Programm, starke Kandidaten und das Vertrauen der Bürger. Wenn jemand in unser Boot kommt, dann mit Respekt vor denen, die bereits rudern", sagte Stačilo!-Vorsitzender Daniel Sterzik, der das Ansinnen der Sozialdemokraten für eine Partnerschaft als "einseitig" bezeichnete.
Maláčová erklärte in einer Pressemitteilung, die Linke solle sich "gegen die irrsinnigen Pläne der Regierung zusammentun", sonst stehe "das Land bald vor ruinierten Staatsfinanzen, eingefrorenen Renten, Steuererhöhungen, Privatisierungen, der Wiedereinführung von Gesundheitsgebühren und weiteren Wellen von Preiserhöhungen."
Die Annäherung an die von der Kommunistischen Partei dominierte Stačilo!-Bewegung löste in der zur Kleinstpartei geschrumpften SocDem eine Austrittswelle der aus der Dissidentenszene entstammendem Mitglieder aus. Allen voran Ex-Menschenrechtsminister Jiří Dienstbier jr., Sohn des gleichnamigen, ersten nicht-kommunistischen Außenministers der Tschechoslowakei, legte sein Parteibuch zurück. Der Hejtman der Region Padubitz, Martin Netolický, trat aus Protest aus der Partein aus, ebenso wie eine Reihe weiterer bedeutender Lokalpolitiker.
Mit einem Wahlbündnis mit Stačilo! erhofft sich Maláčová einen Wiedereinzug der Sozialdemokraten ins Parlament mit der Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung, falls es nach den Wahlen zu einer Koalition mit ANO kommt. Der Wählerzuspruch von Stačilo! ist großen Schwankungen unterworfen. Bei den Europawahlen 2024 erreichte die junge linke Protestbewegung 9,6 Prozent. In der aktuellen Meinungsumfrage des Kantar-Instituts vom Juni 2025 liegt Stačilo! allerdings nur noch bei 4,5 Prozent und wäre nicht im Unterhaus vertreten. SocDem ist in derselben Umfrage unter 2 Prozent gefallen und wird im Wahlmodell gar nicht mehr erfasst. So gesehen, könnte es doch noch passieren, dass sich die beiden Bewegungen zu einem Zweckbündnis zusammenfinden...
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