Der Wahlkampf erreicht in Tschechien seine heiße Phase. Blesk, die meistgelesene Tageszeitung im Lande, hat mit den beiden aussichtsreichsten Spitzenkandidaten, ODS (Spolu)-Chef und Premier Petr Fiala und Oppositionsführer, ANO-Chef und Fialas Vorgänger als Premier, Andrej Babiš, zeitnah und getrennt voneinander Interviews in etwa einstündiger Länge geführt. Hängengeblieben daran ist in erster Linie die Aversion, die die beiden Politiker gegen den jeweils anderen hegen. Fiala sprach über Babiš als "Erfüllungsgehilfen Russlands", dieser attestierte dem amtierenden Premier "Halluzinationen und krankhaftes Lügen".
Bild: Spolu
Petr Fiala:
Fiala warnte im Interview wiederholt davor, dass Babiš im Falle seiner Rückkehr an die Macht Tschechien "in Richtung Osten verschieben" werde und dass sogar ein Referendum über den Austritt aus der EU oder der NATO drohe, das nach ANO möglicherweise von seinen logischen Koalitionspartnern SPD oder Stačilo! gefordert werden könnte.
"Die nicht eingehaltenen Versprechen der ANO-Bewegung und die Meinungsänderung von Andrej Babiš darüber, ob er jemandem beispielsweise im Rahmen der NATO helfen würde oder nicht, die Infragestellung von Investitionen in die Verteidigung und viele andere Dinge zeigen doch, dass er sich bewusst oder unbewusst nach Osten orientiert", sagte Fiala gegenüber Blesk.
"Mit allem, was er tut, wie zum Beispiel der Infragestellung der Verteidigung der Tschechischen Republik, dient er den Interessen Russlands, so ist es einfach", fuhr der Premier fort.
Er misstraue Babiš und wies darauf hin, mit wem sich sein Kontrahent auf das Amt des Premiers auf europäischer Ebene verbündet hat – unter anderem mit Marine Le Pen, den Freiheitlichen in Österreich und Viktor Orbán. "Man sieht, zu welchem Lager er gehört", sagte Fiala. Er bezweifelte, dass die Verpflichtungen der früheren Babiš-Regierung gegenüber der NATO angemessen erfüllt wurden. "Die Verpflichtungen wurden so erfüllt, dass wir maximal 1,4 Prozent des BIP für die Verteidigung ausgegeben haben", sagte der ODS-Chef, räumte jedoch ein, dass "wir das in der Tschechischen Republik 20 Jahre lang nicht richtig gemacht haben und jetzt Nachholbedarf haben".
Fiala würde auch nach den Wahlen gerne weiterhin als Premier der Tschechischen Republik fungieren. "Wie einer meiner Kollegen, der Ministerpräsident eines anderen Landes, einmal sagte: Wer ein angenehmes Leben führen will, kann nicht Regierungschef sein. Das ist ein 24/7-Job mit enormer Verantwortung, und ich mache ihn und strebe danach, ihn weiter auszuüben, weil ich denke, dass es um sehr viel geht. Ich möchte, dass dieses Land erfolgreich ist, und zwar nicht nur jetzt", sagte der Spitzenkandidat des Spolu-Wahlbündnisses.
"Ich möchte, dass meine Kinder, Enkel und die nächsten Generationen die gleichen Chancen haben wie meine Generation. Dass sie ihre Träume verwirklichen, ihre Talente entfalten, in einer freien Gesellschaft leben und sich an einer hochwertigen Demokratie erfreuen können. Darum geht es mir. Ich sehe, dass dies gefährdet ist. Es ist gefährdet, nicht nur in der Tschechischen Republik, sondern auch anderswo", meinte Fiala.
Hat Fiala seine Äußerung, Tschechien werde "Löhne wie in Deutschland haben", bereut?, fragte Blesk. "Im Gegenteil, ich denke, dass diese Äußerung meine Vision davon widerspiegelt, wohin sich die Tschechische Republik entwickeln soll. Sie ist sehr kurz gefasst und vereinfacht, damit jeder sie versteht und sich darunter etwas vorstellen kann. Löhne wie in Deutschland, Österreich oder den Niederlanden können wir nur haben, wenn die Tschechische Republik eine Wirtschaft hat, die ähnlich funktioniert wie die Wirtschaft dieser Länder. Und wir haben bereits die entsprechenden Schritte unternommen", erklärte Fiala im Blesk-Wahlkampfinterview.
Bild: Facebook/Andrej Babiš
Andrej Babiš:
In seinem Interview mit Blesk bestritt Babiš, ein Referendum über den Verbleib in der Europäischen Union und der NATO abhalten zu wollen. "Ein Referendum über die EU und die NATO kommt überhaupt nicht in Frage", sagte der ehemalige Premier.
Als Petr Fiala bei einem Treffen mit Bürgern sagte, Babiš habe seinem potenziellen Koalitionspartner SPD gerade ein Referendum über den Austritt aus der EU und der NATO versprochen, sprach dieser nicht die Wahrheit, erklärte Babiš.
"Fiala lügt. 'Ich habe gestern gelogen, ich habe heute gelogen, ich bin Vorsitzender der ODS'. Kennen Sie das Lied? Es ist großartig", ätzte Babiš im Studio von Blesk. "Er lügt. Er ist schon krank von diesen Lügen, er lügt ständig", setzte er nach. Babiš fügte auch weitere Beispiele für angebliche Lügen Fialas hinzu: "Er hat über das Rentenalter gelogen oder über Gebühren und so weiter. Er hat solche Lügen erzählt, dass die Leute sich überall darüber lustig machen", so der ANO-Chef.
Babiš warf Fiala auch "Halluzinationen" vor. Und zwar in Bezug auf die Forderungen der NATO nach einer Erhöhung der Verteidigungsausgaben. "Die Fünf-Parteien-Koalition erzählt irgendwelche Hausnummern und erfüllt nicht einmal 2%. Wir haben gesagt, dass wir sie erfüllen werden", sagte Babiš und erklärte zu den Absichten von Spolu: "Sie haben in ihrer Halluzination für nächstes Jahr 2,3%."
Babiš erteilte im Studio Spekulationen eine Absage, im Falle eines Wahlerfolgs der ANO den Posten des Premiers an ANO-Vizeparteiobmann Karel Havlíček, den Chef der Schattenregierung, abzugeben.
"Es wäre doch unlogisch, wenn ich als Vorsitzender der Bewegung Havlíček unterstellt wäre", meinte Babiš. "Nein, nein, das kommt definitiv nicht in Frage. Die ANO-Bewegung hat nur einen Vorsitzenden, und das bin ich", fügte Babiš hinzu.
Quelle: Blesk
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