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02 Jan
Tschechen sparen - Unternehmer rechnen mit Rückgängen

Das vergangene Jahr war nach dem letzten Covid-Jahr das zweitschlechteste in der Geschichte Tschechiens, was den Privatkonsum anlangt. 90 Prozent der Unternehmen erwarten auch für dieses Jahr einen Rückgang der Umsätze.

Bild: 123site/Markus Winkler/Unsplash

Tschechien muss sich aus wirtschaftlicher Sicht auf ein herausforderndes Jahr 2023 einstellen. Die derzeitige hohe Inflation und die schwierige Energiesituation haben die Tschechen zum Sparen gezwungen, und die Einzelhandelsumsätze sind so stark zurückgegangen, wie nie zuvor in der Geschichte. Auch die Arbeitgeber erwarten ein schwieriges Jahr: Neun von zehn rechnen mit einer wirtschaftlichen Rezession. Laut dem Wirtschaftswissenschaftler Lukáš Kovanda erliegen die Menschen oft verschiedenen Illusionen. Eine davon ist die monetäre, bei der die Menschen gefühlt mehr Geld haben, da die Nominallöhne 2022 um etwa 7 Prozent gewachsen sind. Dagegen steht die hohe Inflation, die nach Angaben des Tschechischen Statistikamtes (ČSÚ) beispielsweise im vergangenen November bei 16,2 Prozent lag. Die Menschen haben also real gesehen weniger Geld.

Die Entwicklung der Inflation in den kommenden Monaten ist ungewiss. Die Tschechische Nationalbank (ČNB) hat sich zum Ziel gesetzt, den Leitzinssatz im Jahr 2023 unter die 10-Prozent-Marke zu drücken, aber kurz vor Weihnachten beschloß der Vorstand den Leitzins bei sieben Prozent stehen zu lassen. Dies wurde vom ehemaligen ČNB-Gouverneur Jiří Rusnok heftig kritisiert, der der Meinung ist, dass die Inflation so nicht bekämpft werden kann. "Zu verkünden, dass die hohe Inflationsrate uns noch lange begleiten werde, und die Erhöhung der Zinssätze zu stoppen, weil es sowieso nicht hilft, ist eine Resignation, eine Katastrophe. Es ist keine Lösung, wenn dadurch eineinhalb bis zwei Jahre verloren gehen. Jeder Monat, in dem die Inflation unnötig hoch ist, führt zu all den Problemen, die wir jetzt haben", sagte Rusnok. "Es besteht die Gefahr, dass sich die Inflation für eine lange Zeit festsetzt", warnte er. Der derzeitige Gouverneur der ČNB, Aleš Michl, betonte, dass der Vorstand bereit sei, die Zinsen in Zukunft anzuheben, insbesondere wenn das Risiko einer nachfrageseitigen Inflation zunehme.

"Tschechen kaufen dramatisch wenig Waren"

"Ein weiterer Irrtum ist die Verzerrung der realen Erschwinglichkeit. Denn solange die Verbraucher volle Einkaufszentren sehen oder einen Restaurantbesuch rechtfertigen können, gehen sie davon aus, dass sich in der Wirtschaft nichts Dramatisches tut. Es ist nur so, dass Einkaufszentren teilweise mit Menschen gefüllt sind, die nur gekommen sind, um etwas zu trinken, sich aufzuwärmen oder kostenloses das WLAN zu nutzen. Nach den jüngsten Daten des tschechischen Statistikamtes sinkt der Einzelhandelsumsatz in der Tschechischen Republik derzeit am zweitstärksten in diesem Jahrhundert. Ein deutlicherer Rückgang war nur im Frühjahr 2020 zu verzeichnen, als ein erheblicher Teil der stationären Läden aufgrund der ersten Covid-Welle geschlossen waren. Offensichtlich kaufen die Menschen also auch in den Einkaufszentren dramatisch weniger Waren als noch vor einem Jahr", so Kovanda.

Seiner Meinung nach erliegen die Menschen auch der Illusion, dass es keine Wirtschaftskrise gibt, wenn sie selbst noch nicht betroffen sind.  "Die Tschechen stehen vor dem zweitschlechtesten Jahr ihrer Geschichte. Zumindest in Bezug auf die Entwicklung des Lebensstandards, ausgedrückt in Realeinkommen. Im Jahr 2023 wird der Lebensstandard um etwa drei Prozent sinken.

Eine Umfrage des Beratungsunternehmens PwC zeigt, dass 90 Prozent der Vorstandsvorsitzenden einheimischer Unternehmen glauben, dass die Tschechische Republik auf eine Rezession zusteuert. Nur neun Prozent glauben, dass Tschechien in den nächsten zwei Jahren eine Rezession vermeiden kann. Andererseits rechnet ein Großteil von ihnen mit einem Konjunkturrückgang in der ersten Jahreshälfte 2023. 40 Prozent der CEOs befürchten, dass 2023 das schwierigste Jahr der jüngeren Vergangenheit sein wird.
Neun von zehn erwarten laut der Umfrage, dass die tschechische Wirtschaft in nächster Zeit in mindestens zwei aufeinander folgenden Quartalen einen Rückgang des BIP gegenüber dem Vorquartal verzeichnen wird. Das Eintreten einer Rezession wird von den meisten (61 Prozent) in der ersten Jahreshälfte erwartet.

"Nur neun Prozent der Vorstände glauben, dass eine Rezession vermeiden werden kann. Am meisten zu schaffen macht den Unternehmern die hohe Inflation und die teuren Energiepreise. Viele Unternehmen drosseln in den Wintermonaten die Produktion oder stellen sie ganz ein und suchen nach Einsparungen. Dies wird wahrscheinlich zu einem Rückgang des BIP führen", kommentierte Jiří Moser, Managing Partner von PwC ČR, die Ergebnisse der Umfrage.

Stagnierendes Wachstum - Entlassungen noch kein Thema

Die Arbeitgeberverbände schätzen, dass die tschechische Wirtschaft im nächsten Jahr stagnieren wird. Die Inflation wird zwar allmählich zurückgehen, aber sie wird verhältnismäßig hoch bleiben. Die tschechischen Unternehmen werden mit Sparmaßnahmen, z. B. reduzierten Investitionen, reagieren, aber es werden noch keine bedeutende Entlassungen erwartet.

"Die Wirtschaft wird sich allmählich verlangsamen. Dieser Trend zeigt sich in einer Reihe von Daten, von den Aussichten für Frachtaufträge über Umfragen im Geschäftsverkehr bis hin zu den Erwartungen eines stagnierenden Wachstums in der Eurozone. Wir sehen eine Abkühlung der Nachfrage. Wir erwarten daher eine weitere Verlangsamung des Wachstums auf 0,9 Prozent oder weniger im Jahr 2023", sagte Bohuslav Čížek, Direktor der wirtschaftspolitischen Abteilung des Verbands für Industrie und Verkehr (SPČR). Wichtig werde sein, ob alle Maßnahmen der Regierung zur Unterstützung der Unternehmen abgeschlossen werden können, sagte er.

Die Handelskammer erwartet für das kommende Jahr ebenfalls eine Lähmumg der Wirtschaftsleistung. "Nächstes Jahr wird die Industrie, die normalerweise die treibende Wirtschaftskraft ist, stagnieren. Obwohl sich der Preisanstieg 2023 verlangsamen wird, wird die relativ hohe Inflation das ganze Jahr prägen", sagte Miroslav Diro, Sprecher der Kammer. Nach seinen Worten sind die Stabilität der Energieversorgung und ein funktionierendes System von Preisobergrenzen Voraussetzungen für seine Prognose. Die Energiepreise, sowie die Vorleistungspreise in Bereichen wie dem Baugewerbe sind nach wie vor die Hauptsorge der Unternehmen.


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