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09 Jan
Gericht spricht Babiš in "Causa Storchennest" frei

Knalleffekt vier Tage vor den Präsidentschaftswahlen: Das Prager Stadtgericht hat den ehemaligen Premier und aktuellen Präsidentschaftskandidaten Andrej Babiš (ANO) und seine frühere Beraterin Jana Nagyová im Fall Čapí hnízdo (dt.: "Storchennest") freigesprochen, bei dem es um einen Subventionsbetrug von 50 Mio. CZK (2,08 Mio. Euro) für den Bau eines Kongresszentrums in Mittelböhmen geht. Das Urteil ist nicht rechtskräftig und die Staatsanwaltschaft kann beim Obersten Gericht in Prag Berufung einlegen. Sowohl Babiš als auch Nagyová haben von Anfang an ihre Schuld bestritten und waren bei der Verkündung des Urteils nicht anwesend. Der Chef der ANO-Bewegung erklärte unmittelbar danach auf Twitter, er sei sehr froh, dass die Justiz unabhängig sei.

Das namensgebende Gebäude im Luxusresort "Storchennest"

Bild:  Autor: Richenza, CC BY-SA 3.0

Laut Richter Jan Šott wurde im Fall Čapí hnízdo, bei dem es um einen Zuschuss in Höhe von 50 Mio. CZK für den Bau des Kongresszentrums in Mittelböhmen geht, nicht nachgewiesen, dass die in der Anklageschrift beschriebene Handlung eine Straftat darstellt. Der Richter rekapitulierte in der Einleitung der Urteilsbegründung, dass die Strafakte mehr als 35.000 Seiten umfasst und dass Dutzende von Stunden an Vernehmungen in dem Fall durchgeführt wurden. Daher sei die Begründung länger als üblich. 

Die Staatsanwaltschaft wirft Babiš vor, er habe veranlasst, dass die Farma Čapí hnízdo zum Jahreswechsel 2007/2008 aus seinem Konzern Agrofert herausgelöst wurde, und Aktien an seine Kinder und seinen Partner verkauft wurden. Der Staatsanwaltschaft zufolge tat er dies, damit der Betrieb scheinbar die Voraussetzungen für den Erhalt von Subventionen für kleine und mittlere Unternehmen erfüllt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft hat seine Beraterin Nagyová die Subvention erfolgreich beantragt. 

Staatsanwalt Jaroslav Šaroch beantragte für Babiš als auch für Nagyová eine dreijährige Haftstrafen mit einer fünfjährigen Bewährungszeit. Außerdem plädierte er für eine Geldstrafe von 10 Millionen CZK (417.000 Euro)  für Babiš und eine  halbe Million CZK (20.800 Euro) für Nagyová. In seinem Schlussplädoyer erklärte der Staatsanwalt, dass alle Voraussetzungen für die Verhängung einer Strafe innerhalb des gesetzlichen Höchstmaßes von fünf bis zehn Jahren Haft erfüllt seien.

Andrej Babiš, Der Vorsitzende der ANO-Bewegung, behauptet seit langem, dass der Fall erfunden sei und bezeichnet ihn als politischen Prozess. In seinem Schlussplädoyer ging er insbesondere darauf ein, dass verschiedene Beteiligte seinen Sohn aus erster Ehe, Andrej Babiš jr., der an Schizophrenie leidet, in der Causa missbraucht hätten. Ursprünglich war auch der Sohn von Babiš in dem Fall angeklagt, doch wurde die Anklage später fallen gelassen, und er trat weiterhin als Zeuge in dem Fall auf. Er behauptete, sein Vater habe ihm ohne sein Wissen die Anteile an Čapí hnízdo übertragen und einen Strohmann aus ihm gemacht.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, der Fall könnte eine Instanz höher an das Oberste Gericht Prag weitergereicht werden. Gemischte Reaktionen auf den Freispruch gab es aus dem Lager der Politik: "Das Urteil des unabhängigen Gerichts muss respektiert werden. Jeder hat sich eine Meinung zu dem Fall gebildet, der seit vielen Jahren in der Öffentlichkeit diskutiert wird", sagte Premier Petr Fiala (ODS). "Aber das Wesentliche ist: Die wahren politischen Kämpfe in einer Demokratie finden bei Wahlen statt, nicht in Gerichtssälen", fügte er hinzu. Er forderte die Bürgerinnen und Bürger auf, diese Gelegenheit zu nutzen und an den Präsidentschaftswahlen am Freitag und Samstag teilzunehmen.

Laut einer Stellungnahme des tschechischen Innenministers Vít Rakušan (STAN) beruht die Rechtsstaatlichkeit darauf, dass die Entscheidungen der Justiz respektiert werden, unabhängig davon, ob sie jemandem persönlich gefallen oder nicht. "Die Öffentlichkeit hat sich nicht nur während des Prozesses - die öffentlich zugegebenen Lügen, sein Verhalten gegenüber der eigenen Familie - eine eigene Meinung über den Charakter von Herrn Babiš gebildet. Und jeder soll nun für sich entscheiden, vielleicht bei den Wahlen", fügte Rakusan hinzu.

Pavel und Nerudová: "Freispruch ändert nichts"

"Ich verstehe, dass die Entscheidung des Gerichts viele von euch verärgert hat, aber lasst uns einen kühlen Kopf bewahren und anstatt das Gericht zu kritisieren, lasst uns verantwortungsvolle Bürger sein und Andrej Babiš bei den Wahlen ein Zeugnis ausstellen. Dafür ist die Demokratie da", schrieb Präsidentschaftskandidat Ex-General Petr Pavel auf Twitter. Er sagte auch, dass Babiš, gestärkt durch die Entscheidung des Gerichts, mit jemandem konfrontiert werden muss, der über die nötige Erfahrung verfügt und seine größten Schlachten bereits geschlagen hat. Er sagte den Wählern, dass Babis mit ihrer Hilfe besiegt werden würde und forderte sie auf, zur Wahl zu gehen.

Auch nach Ansicht von der bislang in Umfragen führenden Kandidatin Danuše Nerudová müsse die Entscheidung des Gerichts respektiert werden. "Wir haben eine unabhängige Justiz und dieser Fall wurde nicht politisiert, wie Andrej Babiš selbst behauptete. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass Andrej Babiš seit langem nur seine eigenen Interessen in der Politik vertritt und zur Untergrabung der Demokratie beigetragen hat", sagte sie und fügte hinzu, dass sie Babiš im zweiten Wahlgang besiegen werde. 


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