
Die Vertreter von ANO, SPD und den Motoristen haben am 3. November im Abgeordnetenhaus einen Koalitionsvertrag unterzeichnet. Das Dokument bestätigt die Verteilung der Ministerien und die Besetzung des Vorsitzes der unteren Kammer durch einen Vertreter der SPD. Die Parteien haben den Vertrag eine Stunde vor Beginn der konstituierenden Sitzung des neuen Abgeordnetenhauses unterzeichnet. Der nächste Schritt wird die Vorlage eines Vorschlags für die Besetzung der Regierung sein. Der Vorsitzende der ANO, Andrej Babiš, hofft, dass sein Kabinett spätestens Mitte Dezember vereidigt wird.

Unterzeichnungszeremonie: Sitzend die Parteichefs Tomio Okamura (SPD), Andrej Babiš (ANO) und Petr Macinka (Motoristen)
Bild: Facebook/Andrej Babiš
In der Koalitionsvereinbarung haben sich die Parteien unter anderem darauf geeinigt, "wichtige Gesetze" gemeinsam durchzusetzen. "Gesetzesentwürfe der Regierung und strategische Dokumente von grundlegender Bedeutung (Haushalt, Steuern, Außen- und Sicherheitspolitik, Wahl- und Verfassungsgesetze) werden als von der Koalition vereinbart vorgelegt", heißt es in dem Dokument.
Für die Regierungsmitglieder ist laut Koalitionsvertrag eine gemeinsame Programmerklärung verbindlich. Bei weniger bedeutenden Gesetzesentwürfen und anderen Dokumenten gelten laut Vertrag diejenigen als von der Koalition vereinbart, die von einer Mehrheit der Regierungsmitglieder jeder Partei unterstützt werden. ANO, SPD und Motoristen verpflichten sich in der Vereinbarung, die Koalitionsvorschläge im Parlament durchzusetzen und Änderungsanträge nur nach gegenseitiger Absprache zu stimmen.
Koalitionsvertrag verpflichtet zu Loyalität und duldet "keine Überraschungen"
Einmal im Monat soll sich der "Rat der Parteivorsitzenden" treffen. Er wird sich mit grundlegenden Fragen der Regierungspolitik und der Zusammenarbeit zwischen den Parteien befassen.
Die Vereinbarung verpflichtet die Parteien zu gegenseitiger Loyalität, offener Kommunikation, zeitnahem Informationsaustausch und "keine Überraschungen für die Partner". Die drei Gruppierungen sollen auch ihre öffentlichen und medialen Auftritte zu grundlegenden Fragen der Regierungspolitik koordinieren. "Die Parteien verzichten auf öffentliche Erklärungen, die das gegenseitige Vertrauen oder die Stabilität der Regierung schwächen könnten", heißt es in der Vereinbarung.
Das gemeinsame Ziel der Parteien der künftigen Regierungskoalition bei den Wahlen war laut Babiš die Ablösung des derzeitigen Kabinetts. "Das hat uns verbunden, auch wenn es natürlich einige Unterschiede in den Programmen gab. Aber entscheidend ist, dass wir uns geeinigt haben", betonte er nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags.
Laut SPD-Vorsitzendem Tomio Okamura symbolisiert der Vertrag das "Ende einer Regierung, die den Interessen Tschechiens geschadet hat". Der Vorsitzende der Autofahrerpartei, Petr Macinka, bezeichnete den Vertrag als "ersten Schritt zu einer Veränderung, die sich die Bürger in den Wahlen gewünscht hatten".
Ressortverteilung bestätigt
ANO, SPD und Motoristen haben bereits eine Woche nach den Wahlen die Verteilung von sechzehn Ressorts bekannt gegeben, die Kandidaten für die Ministerposten wurden jedoch nur inoffiziell gehandelt. Der Koalitionsvertrag bestätigt nun die Verteilung der Ministerien. Neun Sitze gehen an die ANO, die die Posten des Premiers und der Minister für Finanzen, Industrie, Gesundheit, Arbeit, Bildung, Inneres, lokale Entwicklung und Justiz besetzen wird. Die SPD soll drei Experten für die Ministerien für Verteidigung, Landwirtschaft und Verkehr nominieren. Die Motoristen werden die Ministerien für Auswärtige Angelegenheiten, Kultur und Umwelt leiten und einen neuen Minister für Sport, Prävention und Gesundheit stellen.
Teil des Koalitionsvertrags ist auch eine Vereinbarung über die Besetzung des Amtes des Parlamentspräsidenten, das gemäß der Vereinbarung der Koalitionsparteien der SPD zusteht. Die sich bildende Koalition will Parteichef Okamura für dieses Amt nominieren. Babiš sagte im Zuge der Vertragsunterzeichnung, dass die ANO-Fraktion Okamura ihre Unterstützung zugesagt habe. Er geht davon aus, dass der SPD-Chef zum Parlamentspräsidenten gewählt wird. Laut Macinka besuchte Okamura die Fraktion der Motoristen, um seine Vision vorzustellen. "Wir halten das für sehr höflich, die Diskussion war sehr angenehm und Herr Vorsitzender Okamura war äußerst überzeugend", fügte er hinzu.
Haushaltsbeschluss bis zum 17. Dezember
Anlässlich der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags äußerte sich Babiš auch zum Staatshaushalt. Demnach wollen ANO, SPD und die Motoristen den Haushalt bis zum 17. Dezember verabschieden, um eine "provisorische Lösung" zu vermeiden.
Der Chef der ANO-Bewegung hofft, dass die derzeitige Regierung von Petr Fiala (ODS) ihren Haushalt an das Parlament weiterleiten wird. "Wir müssen den Defizitvorschlag akzeptieren, auch wenn der Haushalt nicht gedeckt ist", erklärte Babiš. Die neue Regierung müsse sich jedoch damit abfinden und den Haushalt verabschieden, fügte er hinzu.
Die neue und die scheidende Regierung streiten seit Wochen darüber, ob die Regierung Fiala den Abgeordneten erneut einen Entwurf mit einem Defizit von 286 Mrd. Kronen (11,8 Mrd. Euro) vorlegen soll, der mit dem Ende der Legislaturperiode des letzten Abgeordnetenhauses sozusagen "unter den Tisch gefallen" ist. Die scheidende Regierung hielt eine erneute Vorlage des Haushaltsentwurfs an das Parlament zuvor für unnötig. Aus den jüngsten Äußerungen geht jedoch hervor, dass sie den Gesetzentwurf nach der Konstituierung des Parlaments erneut einreichen wolle.
Nach der Sitzung des ODS-Fraktionsvorstands kritisierte Fiala die Haltung der ANO zur Frage des Haushaltsplans. "Zuerst haben wir gehört, dass er nichts taugt, dass er schlecht ist", sagte er. Er hätte daher erwartet, dass die sich bildende Regierung einen eigenen Entwurf vorbereitet hätte. "Dann begann ANO plötzlich zu sagen, dass es unverantwortlich von uns sei, ihn vorzulegen", fügte er hinzu und erklärte, dass ihn interessiere, wie ANO, SPD und die Motoristen zu den Ausgaben für Verteidigung und Energie stehen.
Unklarheiten im Regierungsprogramm
Zwar wurde ein Dokument mit dem Entwurf einer Regierungserklärung bereits veröffentlicht, laut Babiš werden die Parteien jedoch noch einmal über die Erklärung beraten, und das Dokument soll dann von der neuen Regierung genehmigt werden. Wann dies geschehen wird, ist laut Babiš noch unklar und hängt vom weiteren Verlauf der Bildung des neuen Kabinetts ab.
In den sozialen Netzwerken erklärte der ANO-Chef, dass er zahlreiche Anmerkungen zu dem Dokument erhalten habe, über die die Koalition beraten werde. Wenn sie sich darauf einigen könne, werde das Programm ergänzt. In Bezug auf die Information, dass er nicht gewusst habe, dass der Entwurf eine Mehrwertsteuer von null Prozent auf Medikamente vorsehe, betonte er, dass die Änderung nur verschreibungspflichtige Medikamente betreffen solle. "Das ist gut so, und wir werden darauf achten, dass sich dies in einer Preissenkung niederschlägt", fügte er hinzu.
In dem Entwurf, der der Česká televize vorliegt, nennt die Koalition als strategische Prioritäten günstigere Energie und Energiesicherheit, eine bezahlbare Gesundheitsversorgung, Wohnen als öffentliches Interesse, gerechte Renten und Sicherheit.
Das Dokument bestätigt unter anderem die Ablehnung der ETS2-Emissionszertifikate und sieht auch den Ausbau der Kernenergie vor. Die Parteien wollen das Rentenalter auf 65 Jahre begrenzen, die Tschechische Krone beibehalten (als Verfassungsgesetz angestrebt) und die elektronische Umsatzsteuererfassung wieder einführen.
Das Programm wurde zuvor auch Präsident Petr Pavel vorgelegt. Die Präsidentschaftskanzlei teilte daraufhin mit, dass Pavel noch eine genauere Stellungnahme von ANO-Chef Babiš erwarte. Nach den Wahlen bezeichnete der Staatspräsident es als grundlegend, dass die Regierung auf eine feste Verankerung in der EU setze, die tschechische Politik im Einklang mit dem Völkerrecht stehe und die Menschenwürde und die Menschenrechte in den Vordergrund stelle. Als Sicherheitsgarantie betrachtet der Präsident die Mitgliedschaft in der NATO.
Zu den wichtigsten Fragen zählt Pavel auch die Erhaltung und Unterstützung der Institutionen eines demokratischen Staates, die Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien, die Autonomie der Hochschulen sowie die Unabhängigkeit der Justiz, der Staatsanwaltschaft, der Polizei, der Sicherheitskräfte, aber auch anderer staatlicher Organe.
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