Nach den Treffen mit den Obleuten aller im neu gewählten Parlament vertretenen Parteien bestätigte Staatspräsident Petr Pavel, dass es offenbar zu einer Koalitionsregierung aus ANO, SPD und Motoristen kommen wird. Über die konkrete Zusammensetzung und die Personen werde jedoch noch weiter verhandelt, so Pavel. Nachdem am 5. Oktober die Obleute von ANO und den Spolu-Parteien auf der Prager Burg empfangen wurden, waren tags darauf die Parteichefs der Piraten, der SPD und der Motoristen zu Gast bei Pavel.
Präsident Petr Pavel mit ANO-Chef Andrej Babiš
Bild: Odbor komunikace KPR/Zuzana Bönisch/Tomáš Fongus
Die Bildung der Regierung müsse laut dem Präsidenten parallel zur Einsetzung des neuen Parlaments erfolgen. "Die Kräfteverteilung im Parlament, also die proportionale Vertretung der einzelnen politischen Parteien in seinen Gremien, wird natürlich auch Einfluss auf die Zusammensetzung der Regierung haben", sagte er. Es gebe keine Bestrebungen, den gesamten Prozess zu beschleunigen, darin seien sich die Parteivorsitzenden einig.
Er wird weiterhin mit den Vorsitzenden der politischen Parteien nach Bedarf verhandeln, sei es auf deren oder auf seine Initiative hin, betonte Pavel. Laut dem Präsidenten gibt es derzeit keinen konkreten Zeitplan. "Wir haben unsere Ansichten über die Wahlergebnisse, die Möglichkeiten der Regierungsbildung, aber auch über die Abgeordnetenkammer und deren programmatische Prioritäten ausgetauscht“, erklärte er.
Der weitere Zeitplan für die Regierungsbildung hängt laut Pavel davon ab, wann sich die Parteien auf programmatische Überschneidungen und die Besetzung der Posten einigen. "Wenn der Wille dazu vorhanden ist, gibt es keinen Grund, dies zu verzögern, und es ist möglich, den Wahlsieger mit den Verhandlungen zur Regierungsbildung zu beauftragen“, sagte der Präsident.
Pavel räumte ein, er halte es für verfrüht, über konkrete Namen zu sprechen. "Sowohl die SPD, als auch die Motoristen rechnen mit ihrer Beteiligung an der Regierung. Einige werden vielleicht eher auf Experten setzen, andere auf Politiker, die ins Parlament gewählt wurden, oder auf bekannte Gesichter aus ihren Parteien. Aber das ist wirklich alles noch in Verhandlung", fügte er hinzu.
Piraten wollen keiner Regierung angehören
Mit einem Stimmenanteil von knapp neun Prozent werden die Piraten von vier auf achtzehn Abgeordnete aufstocken. "Wir sind die viertstärkste Fraktion und werden uns um eine proportionale Vertretung in den Gremien des Abgeordnetenhauses und um einen Platz in dessen Führung bemühen", sagte Piraten-Parteichef Zdeněk Hřib nach seinem Treffen mit dem Präsidenten. Die Piraten verhandeln nicht über die Regierung, ihre Strategie nach der Wahl schließt eine Zusammenarbeit mit ANO, SPD und den Motoristen aus, sagte Hřib und fügte hinzu, dass seine Partei eine "harte und konstruktive Opposition" sein werde.
Personelle Fragen, wie beispielsweise die Nominierung der Piraten für die Führung der Abgeordnetenkammer, wollte er vorerst nicht näher erläutern. Laut Hřib habe der Klub dies noch nicht geklärt, aber er werde über genügend Experten für die Ausschüsse und Unterausschüsse verfügen und strebe den Vizevorsitz der Kammer an.
Hřib besprach mit Pavel auch die umstrittene Frage der tschechischen Munitionsinitiative zur Unterstützung der Ukraine. "Ich würde mich freuen, wenn sie beibehalten würde. Sie ist wichtig für die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine und damit auch dafür, dass unsere Sicherheit nicht gefährdet wird und die russische Armee so weit wie möglich von unseren Grenzen ferngehalten wird", betonte der Vorsitzende der Piraten nach dem Treffen.
Pavel betonte im Gespräch mit Hřib, dass die Initiative zur Beschaffung von Munition in Ländern außerhalb der EU für die Ukraine von entscheidender Bedeutung sei. "Wir unterstützen jede Maßnahme, die Sicherheit dafür schafft, dass dieser Prozess transparent ist und die Preise angemessen sind", erklärte der Piraten-Chef. Genau diese Fragen stehen im Fokus der Kritik von ANO.
Pavel merkte nach den Verhandlungen am Montag nach den Wahlen an, dass Tschechien vor allem sich selbst schaden würde, wenn es seine Unterstützung für die Ukraine durch die Munitionsinitiative reduzieren oder sogar beenden würde. Der Präsident bestreitet nicht das Interesse von ANO-Chef Andrej Babiš, mehr Informationen über die Initiative zu erhalten, Transparenz ist laut Pavel kein Problem.
Hřib sprach mit Pavel auch über den Interessenkonflikt des ANO-Chefs und potenziellen Premiers Babiš. "Durch diesen politischen Akt (die Ernennung des Premiers, Anm.) sollte kein rechtswidriger Zustand geschaffen werden, in dem beispielsweise Beamte einzelner Ministerien in eine Situation geraten, in der sie zu einer Entscheidung gedrängt werden, die rechtswidrig wäre, auch im Sinne des Strafgesetzbuches bezüglich der Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Verwalters, der für das ihm anvertraute Vermögen sorgt", sagte Hřib. Eine Lösung könnte darin bestehen, die Ernennung des Premiers oder der Regierung so lange aufzuschieben, bis schwarz auf weiß feststeht, dass der Interessenkonflikt gelöst ist, schlug Hřib vor.
SPD wil "mindestens ein Ministerium"
Der Vorsitzende der SPD, Tomio Okamura, bestätigte nach einem Treffen mit Pavel, dass seine Bewegung über eine direkte Beteiligung an der Regierung verhandelt. Mit der Bewegung ANO spreche er über die Besetzung von Posten und Ressorts. "Wir hätten gerne mindestens ein Ressort, lieber zwei, vielleicht sogar drei", sagte Okamura und erklärte, er habe mit dem Vorsitzenden der ANO, Andrej Babiš, über verschiedene Alternativen gesprochen.
"Die konkreten Ressorts sind wirklich eine Frage der Verhandlungen, es hängt vom Wahlsieger ab und davon, für welche Konstellation er sich entscheiden wird", erklärte er. Vor den Wahlen sagte Okamura, dass die SPD angesichts ihrer programmatischen Prioritäten Interesse an den Ministerien für Inneres, Verteidigung, Bildung, Industrie und Auswärtige Angelegenheiten habe.
Laut Okamura trifft sich die SPD regelmäßig mit ANO. Über die Unterstützung einer ANO-Minderheitsregierung werde nicht verhandelt, die SPD wolle regieren und Verantwortung übernehmen, so der SPD-Chef. Der Zeitplan für weitere Treffen mit ANO ist laut Okamura noch nicht genau festgelegt. "Wir kommunizieren täglich miteinander", sagte er.
Wie bereits bei seinem Treffen mit Präsident Pavel im Mai, widersprach Okamura der These, dass die Mitgliedschaft in EU und NATO für die Tschechische Republik die beste Garantie für Sicherheit und Wohlstand sei. "Ich denke, dass SPD-Vorsitzender Tomio Okamura meine Position in Bezug auf die NATO und die EU gut kennt, und ich kenne seine Position ebenfalls gut. Wir müssen also nicht lange darüber diskutieren. Wir haben nur erwähnt, dass wir diese Positionen kennen und sie nicht weiter diskutieren müssen", erklärte Präsident Pavel nach dem Treffen.
Motoristen pokern und bleiben unkonkret
"Das Ziel der Motoristen ist es, Teil der nächsten Regierung zu werden", bestätigte auch der Vorsitzende der Motoristen, Petr Macinka, nach dem Treffen mit Pavel. Er wollte jedoch keine konkreten Angaben zu den Besetzungen der einzelnen Ministerien machen.
"Es wird auf verschiedenen Ebenen, an verschiedenen Fronten und mit verschiedenen Personen verhandelt. Ich möchte diese Verhandlungen nicht zu konkretisieren, da ich dies für unangemessen halte", sagte Macinka. Seiner Meinung nach ist es besser, wenn sich die Parteien selbst einigen und dann die Ergebnisse der Vereinbarungen präsentieren. "Ich möchte auch keine Spekulationen konkretisieren, die verschiedene Ressorts und so weiter betreffen sollen. Das ist alles offen", sagte er. Macinka war auch in Bezug auf die Themen, über die er mit dem Präsidenten gesprochen hatte, nicht konkreter. Er erklärte jedoch, dass sie sich "in einer Reihe von Punkten einig" seien.
Der Ehrenpräsident und Frontman der Motoristen im Wahlkampf, Filip Turek, meinte im Fernsehen, dass Macinka "ein großartiger Umweltminister" wäre und der neu gewählte Abgeordnete dieser Partei, der Rapper und Autor Oto Klempíř, seiner Meinung nach wiederum der perfekte Kandidat für das Amt des Kulturministers sei. Auch wenn die Motoristen möglichst viel Mitspracherecht bei Entscheidungen haben wollen, sieht Turek bei den Verhandlungen mit der ANO und der SPD über die neue Regierung die Einigung auf programmatische Fragen als vorrangig an.
Tags zuvor Treffen mit Babiš und deb Obleuten der Spolu-Parteien
Tags zuvor empfing Pavel den Vorsitzenden der siegreichen ANO-Bewegung, Andrej Babiš, der nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse bereits Verhandlungen über eine Zusammenarbeit mit der SPD und den Motoristen aufgenommen hatte. Neben Babiš empfing Pavel nacheinander den Vorsitzenden der ODS und aktuellen Premier Petr Fiala, den Vorsitzenden der KDU-ČSL, Marek Výborný, die Obfrau der TOP'09 Markéta Pekarová Adamová und den Vorsitzenden der Bewegung STAN, Vít Rakušan.
Mit Babiš sprach der Präsident auch über eine mögliche Lösung seines Interessenkonflikts aufgrund seines Besitzes der Holding Agrofert. Laut dem Staatschef schlug Babiš Varianten vor, die mit dem Gesetz vereinbar wären.
Dem Wahlsieger Babiš hat Präsident Pavel noch keinen Auftrag zur Regierungsbildung erteilt. Er hält dies für verfrüht. Laut dem Präsidenten macht es erst Sinn, über eine Beauftragung zu sprechen, wenn sich ein Regierungsentwurf abzeichnet, der die Chance hat, die Unterstützung des Parlaments zu erhalten.
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